Beziehungen scheitern, Ehen werden zunehmend häufig geschieden. Scheidungen sind für viele ein selbstverständlicher Teil des Lebens, so das Ergebnis einer kürzlich veröffentlichten Umfrage.
Andere Erfahrungen machen die Ehe-, Familien-und Lebensberaterinnen und – berater mit den Klientinnen und Klienten, die zu ihnen kommen:
Die Frauen und Männer, die sich trennen, leiden unter der Trennung auch noch Jahre später, und auch eine neue Beziehung wird komplizierter, weil die vorherige Beziehung ihre Spuren hinterlässt: im Geldbeutel und vor allem in der Seele.
Gerade für die Kinder bedeutet die Trennung der Eltern häufig großes Leid, meist ist es ihr sehnlichster Wunsch, dass die Eltern zusammenbleiben.
Paaren, Einzelnen und Familien bei der Bewältigung dieser komplexen Situation noch wirkungsvoller zu helfen, war das Thema der diesjährigen Jahrestagung des Bundesverbandes Katholischer Ehe-, Familien-und Lebensberaterinnen und –berater. 235 Beraterinnen und Berater aus ganz Deutschland nahmen an der Jahrestagung im Ringberghotel in Suhl teil.
Wenn Frauen oder Männer nach einer Scheidung sich für eine neue Partnerschaft entscheiden und eine neue Familie gründen – entsteht „patchwork" - ein komplexes Beziehungsgeflecht, das zu handhaben alle Beteiligten vor große Herausforderungen stellt. Wenn Probleme auftreten, ist der Blick der Erwachsenen aus der eigenen Familie und auch der Eltern der Partner und Ex-Partner meist auf die aktuelle, konflikthafte Situation fixiert. Es fällt ihnen schwer zu sehen, dass man die ungelösten Probleme, die man aus der Eltern-und Großelternsituation in seiner Seele trägt, mitbringt und dass diese ungelösten Probleme mit zur aktuellen Situation beitragen können. So entfaltet z.B. eine Außenbeziehung des Vaters, über die nicht geredet werden darf, auch noch ihre Wirkung in der Folgegeneration. Das Aussprechen von bisher nicht ausgesprochenen Tabus, Verwundungen, Traumatisierungen kann helfen, Zugang zu seinen Ressourcen, zur eigenen Lebensenergie zu gewinnen. Hilfreich kann auch sein, die eigenen Bilder von der idealen Familie anzuschauen und auf ihre Realitätsnähe hin zu hinterfragen. Die Anerkennung: „Es ist so, wie es ist", kann helfen, die eigene familiäre Situation mit wohlwollenderen Augen anzusehen und so Entlastung zu erleben.
Häufig wird die Einwirkung gesellschaftlicher Entwicklung auf die Konflikte und Probleme der Familie unterschätzt: in gleichem Maße, wie berufliche Mobilität und Flexibilität gefordert sind, nimmt die Zahl der Patchwork-Familien zu.
Das Scheitern von Beziehungen und Dauerstress im engeren familialen Kontext – und das ist wenig im Blick der gesellschaftlichen Diskussion – erhöht auch das Risiko, krank zu werden.
Eindeutig bewiesen ist, dass die Wahrscheinlichkeit von Kreislauferkrankungen, Immunerkrankungen und seelischen Erkrankungen wie Depressionen steigt, wenn die Partner in endlosen Wiederholungsschleifen destruktiver Auseinandersetzungen gefangen sind und/ oder in einem Klima der Kälte und Verachtung miteinander leben. Nicht nur die Kinder kriegen das mit, sondern auch die Herkunftsfamilien der Betroffenen. Eine neue Untersuchung des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend stellt heraus, was an sich schon auf der Hand liegt: „Schieflagen während der Ehe sind nicht erst nach der Ehe, sondern während der Ehe zu korrigieren". Leid für viele Frauen, Männer und auch die Kinder könnte vermieden werden, wenn rechtzeitig fachliche Unterstützung geboten würde. Darüber hinaus könnten immense Kosten für die Krankenkassen gespart werden, denn Trennungen führen häufig dazu, dass ein Teil des geschiedenen Paares – meist die Frauen – Sozialleistungen in Anspruch nehmen müssen, ebenso die betroffenen Kinder.
Konsequenz kann nicht sein, sich ein Urteil über die Lebensentscheidungen von Menschen zu erlauben, sondern Unterstützungen anzubieten zur Bewältigung dieser häufig schwierigen Situationen.
Dazu der Vorsitzende des Bundesverbandes, Erhard Scholl:
„Es besteht die paradoxe Situation, dass weite Teile der Bevölkerung die kirchliche Lehre von der Unauflöslichkeit der Ehe als antiquiert zurückweisen, die von der selben Kirche angebotene Ehe- und Partnerschaftsberatung jedoch eine stetig steigende Nachfrage erfährt. Die Nachfrage ist so groß, dass an den meisten Beratungsstellen Klientinnen und Klienten wochenlang auf einen ersten Termin warten müssen. Die Gesellschaft verschließt ihre Augen vor der seelischen Not der Frauen, Männer und Kinder, deren Beziehung in Schieflage gerät. Darüber hinaus entstehen der Gesellschaft unnötige Kosten im Gesundheits-und Sozialwesen, weil wirksame Hilfsmöglichkeiten, die Paaren eine Verbesserung ihrer Beziehung ermöglichen, in sträflich geringem Umfang gefördert werden. Lieber nimmt man Trennungen in Kauf – mit den bekannten negativen Folgen für die Partner, die Kinder und die betroffenen Herkunftsfamilien."
Ähnliches stellt Weihbischof Dr. Heiner Koch aus Köln in seinem Beitrag „Überlegungen zur Studie Partnerschaft und Entscheidungen im Lebensverlauf" in der Nr. 1/ 2011 von „Stimme der Familie", der Zeitschrift des Familienbundes der Katholiken fest.
Der Bundesverband würdigt den Mitteleinsatz der Diözesen für die Beratungsarbeit, und ist sich der schwierigen finanziellen Situation vieler Diözesen bewusst. Trotzdem fordert er, dass die Diözesen die Prioritätenliste ihrer finanziellen Engagements kritisch überprüfen. „Der zentralen Bedeutung, die Kirche der Familie zuweist, sollte auch der Platz auf der Prioritätenliste der finanziellen Engagements entsprechen", fordert der Vorsitzende.
Dabei ist weitgehend unbekannt, dass die Kirche durch die Förderung der Beratungsstellen schon lange Jahre gesetzliche Aufgaben der Länder und Kommunen mitfinanziert – die Beratung in Fragen der Trennung/ Scheidung und in Partnerschaftsfragen ( § 17 SGB VIII).
Der Bundesverband Katholischer Ehe-, Familien-und Lebensberaterinnen und -berater hat knapp 700 Mitglieder. Etwa 100.000 Frauen und Männer suchten im vergangenen Jahr Beratungsstellen für Ehe-, Familien-und Lebensfragen in katholischer Trägerschaft auf.
Die Mitgliederversammlung bestätigte mit großer Mehrheit Erhard Scholl als ersten Vorsitzenden und Hiltrud Franken-Horstmann als seine Vertreterin.
Norbert Wilbertz (Münster) und Thomas Ziegler (Würzburg) wurden aufgrund ihrer Verdienste um die Ehe-, Familien-und Lebensberatung zu Ehrenmitgliedern ernannt. Beide trugen in ihren Diözesen über mehr als 30 Jahre die Verantwortung für den Bereich Ehe-, Familien-und Lebensberatung.
Suhl, den 08. Mai 2011
Erhard Scholl
Vorsitzender des Bundesverbandes Katholischer Ehe-, Familien- und Lebensberaterinnen und -berater e.V.