KNA: Wie viele Beratungen haben Sie im Jahr?
Scholl: Jährlich suchen deutschlandweit rund 100.000 Personen unsere Beratungsstellen auf. Meistens gibt es Wartelisten - das Angebot reicht also eigentlich nicht aus. Die Diözesen tragen die Hauptlast der Finanzierung: Es sind ungefähr 28 Millionen Euro im Jahr. Trotz Finanzknappheit tritt unser Verband dafür ein, dieses Angebot auszuweiten. Denn bei aller nötigen und guten Förderung von Familien lässt die gängige politische Diskussion weitgehend außer acht, dass die Qualität der Paarbeziehung entscheidend ist, ob das Zusammenleben in den Familien gelingt oder nicht. Wenn die Eltern oder Partner in einer Patchwork-Familie sich dauernd streiten, haben auch die Kinder keine guten Entwicklungsbedingungen. Und noch so viele Kinderkrippen können diese schwere Situation nur wenig zum Positiven wenden. Daher treten wir vom Verband dafür ein, dass die politische Diskussion mehr in den Blick nimmt, wie die Qualität der Paarbeziehung gefördert werden kann.
Sterzinsky: Es fehlt tatsächlich an Geld. Auch als die Finanzen nicht so knapp waren wie jetzt ist immer wieder gesagt worden, für die Ehe-, Familien-, Lebensberatung gibt es zu wenig Geld, weil das nicht staatlich refinanziert wird. Dennoch: Es ist auch Seelsorge und nicht irgendein sozialer Dienst. Wenn den Eheleuten nicht geholfen wird, ihre Ehe zu stabilisieren, dann sind alle Appelle zur Treue nicht ganz glaubwürdig.
KNA: Wer kann oder sollte eine Beratungsstelle für Ehe-, Familien- und Lebensfragen aufsuchen?
Scholl: Die Ehe-, Familie- und Lebensberatungsstellen sind offen für alle Menschen in schwierigen Situationen, die etwa mit sich selbst nicht klar kommen oder nicht wissen, wie es in ihrem Leben weitergehen soll. Der Schwerpunkt unserer Tätigkeit ist die Beratung von Paaren in kritischen Situationen - Verheiratete oder in andersartiger Gemeinschaft miteinander Lebende.
KNA: Was «bringt» solchen Paaren eine Beratung?
Scholl: Sie haben die Luxussituation, dass sie eine Stunde, wenn sie allein kommen, oder anderthalb Stunden, wenn sie als Paar kommen, Gesprächspartner haben, die ihnen ungeteilt ihre Aufmerksamkeit schenken, ihnen Unterstützung anbieten und neue Perspektiven mit ihnen zusammen entwickeln. Viele Paare denken, die Art und Weise, wie sie miteinander umgehen, sei die einzig mögliche. Es ist schon eine enorme Entlastung zu erfahren, dass sie Alternativen entwickeln können und die Erfahrung machen, dass sich durch das veränderte Verhalten die Qualität der Beziehung häufig in recht kurzer Zeit verbessert, dass man den Partner besser versteht und dass man sich auch selbst besser verstanden und angenommen fühlt.
KNA: Auf welche Ziele arbeitet die Beratung hin?
Scholl: Wer zu uns kommt, soll Möglichkeiten entdecken, um seine Situation zu verändern. Viele Paare haben die Vorstellung: Wenn nur der oder die andere sich ändern würde, dann wäre alles wunderbar. Sie übersehen dabei, was sie jeder selbst anders machen könnten. Oft geht es um Enttäuschung: Der Alltag einer Beziehung führt dazu, den Partner verächtlich zu machen, ihn herabzusetzen, sich gegenseitig Vorwürfe zu machen. Paare streiten ja oft über äußere Dinge: Wer räumt nicht auf, oder wer sollte dies oder das tun? Sie reden weniger über ihre Bedürfnisse und Wünsche, die dahinterstehen. Aufgabe von Beratung ist es, die beiden über diese Bedürfnisse, Wünsche und Gefühle miteinander ins Gespräch zu bringen. Darauf aufmerksam zu machen, das, was der Partner oder die Partnerin in die Beziehung einbringt wertzuschätzen, zu achten und auch zu loben. Gutes Gesprächsverhalten kann man einüben. Zum Beispiel Vorwürfe, verbunden mit den Wörtern «immer» oder «nie», zu vermeiden. Sonst wird der andere sofort in die Defensive gedrängt, und es beginnt eine Eskalation. Stattdessen sollte man ihm einen Raum lassen zu erklären, warum er im Einzelfall so gehandelt hat. Wir wollen außerdem aufzeigen, welche inneren Bilder die Partner für ihre Paarbeziehung mitgebracht haben. Eine Frau, in deren Familie der Vater das Sagen hatte, wird dieses Partnerschaftsmodell mitbringen und vielleicht dann gegen ihren Mann ankämpfen, weil sie ein ungeklärtes Verhältnis zu ihrem Vater hat. Das unbewusste Bild bewusst zu machen, eröffnet neuen Handlungsspielraum.
KNA: Was kann die Kirche über die Beratung hinaus für die Familien tun?
Sterzinsky: Wir müssen in das Familienleben mehr Ruhe hereinbringen, damit die Familien mehr beieinander sind. Durch die Beanspruchung durch die Erwerbstätigkeit von Mutter und Vater ist die Kommunikation in der Familie beeinträchtigt, und auch die heranwachsenden Kinder und die Jugendlichen orientieren sich immer stärker nach außen. Die Familie ist doch oft nur noch die Schlafstätte. Darin sehe ich eine große Schwierigkeit. Wir müssen deshalb verstärkt Räume und Einrichtungen anbieten, in denen sie erleben, wie wohltuend es ist, als Familie zusammen zu sein.
KNA: Nicht nur in Deutschland entwickeln sich das Verständnis der Zivilehe und der katholischen Sicht des Ehesakraments immer mehr auseinander ...
Sterzinsky: Wir müssen das kirchliche Eheverständnis in einer den heutigen Menschen erreichenden Sprache darstellen. Dass er merkt, dass sich da die Gegenwart Gottes ereignet, der Liebesbund zwischen Gott und der Kirche gegenwärtig wird. Ich weiß, dass ich da an uns Bischöfe und an die Theologen appelliere. Wir müssen immer wieder verdeutlichen: Der Ernstfall ist nicht, dass es kracht und ihr auseinandergeht, sondern der Ernstfall ist, dass ihr zusammenbleibt ein ganzes Leben lang. Es gibt keine Ehe ohne Krisen, es gibt auch keine Ehe ohne Vergebung. Aber der Ernstfall ist, dass es gelingt, mit Vergebung die Krisen zu überstehen, und dann ein Leben lang glücklich zu sein.
Scholl: Das kirchliche Verständnis einer lebenslangen Bindung deckt sich mit der Sehnsucht vieler Menschen. Trennungen werden meist erst nach sehr langer Zeit des Leidens und der Ratlosigkeit vorgenommen. Und wenn man in der Beratung danach fragt, was hat euch denn zusammengeführt, was habt ihr gut und liebenswert aneinander gefunden, dann rührt das die Paare sehr an, weil sie darüber oft schon lange nicht mehr gesprochen haben. Wenn dieses Gespräch wieder in Gang kommt, gewinnen sie wieder den Zugang zu den Quellen, die sie in Beziehung gebracht haben.
KNA: Und was ist mit denen, die trotz allen Bemühens keinen gemeinsamen Weg mehr finden?
Sterzinsky: Die Beraterinnen und Berater sollen Paare, bei denen schon die Entscheidung zur Trennung oder Scheidung gefallen ist, nicht von ihren Diensten ausschließen oder sie nur mit schlechtem Gewissen beraten. Wir sind nicht nur für diejenigen da, denen alles geglückt und gelungen ist. Wir sind auch für diejenigen da, denen das Leben hart mitgespielt hat. Uns steht kein Urteil zu darüber, ob sie schuld sind an ihrer Scheidung oder nicht. Aber uns steht es an, ihnen Hilfe zu geben. Sie dürfen nicht stigmatisiert werden. Aber wir dürfen auch nicht aus lauter Verständnis für die, die gescheitert sind, nicht mehr den Mut haben zu sagen: Bitte, versucht doch mit allem Ernst und unter Ausnutzung aller Möglichkeiten, auch der Anforderungen an Euch selbst, treu zu sein und die Möglichkeiten zu nutzen, durchzuhalten, immer zuerst mit der Forderung an das eigene Ich und dann erst mit der Forderung an den Partner.
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