Der Vorsitzende des Bundesverbandes, Martin Kopf, hob in seiner Eröffnungsansprache die lebensnotwendige Bedeutung von menschlichen Bindungen hervor: Bereits die Nabelschnur – ein Urbild von Bindung – ist überlebensnotwendig. Genauso wichtig ist die emotionale Bindung: Jedes Kind braucht für seine gute Entwicklung die Erfahrung stabiler positiv-emotionaler Bindung.
Diese Bindung entwickelt sich in körperlich-sinnlicher Erfahrung: zärtlich gestreichelt werden, liebevoll angeschaut werden, einfühlsame Antwort auf seine Äußerungen von Wohlgefühl, Unmut, Ärger zu bekommen. Wenden sich Eltern dem Kind immer wieder einfühlsam zu, reagieren sie angemessen auf seine Bedürfnisse, fühlt sich das Kind sicher und geborgen. Die Sicherheit elterlicher Zuwendung erfahren zu haben, ist gute Basis dafür, dieses erfahrene Vertrauen auch in Bindungen, die man als Erwachsener eingeht, leben zu können: Wir können unserem Partner Vertrauen schenken, können trösten und Verständnis zeigen, können um Hilfe bitten, uns trösten lassen.
Aus vielerlei Gründen – oft, weil sie selbst stabile Bindungen nicht erleben durften - gelingt es Eltern nicht immer, zu ihren Kindern stabile Bindungen aufzubauen. Die Folge unsicherer Bindungserfahrungen sind oft scheiternde Partnerschaft, Depression, Suchtverhalten. Es kann aber auch im Erwachsenenalter gelingen, korrigierende Bindungserfahrungen zu machen: Eine der Hauptaufgaben von Ehe-, Familien- und Lebensberatungsstellen ist es, Frauen und Männern dabei zu helfen, tieferes Vertrauen, eine stabilere Bindung zu den Menschen zu entwickeln, die für ihr Leben bedeutsam sind. Dies geschieht, indem die Beratungsstellen Ratsuchenden einen verlässlichen Rahmen, unvoreingenommene Annahme bieten. Auf dieser Basis des Vertrauens kann es gelingen, Wege zum besseren Verstehen des eigenen Erlebens und Handelns zu eröffnen, und neue, positive Beziehungserfahrungen zu machen.
Professor Dr. med. Alexander Trost, Facharzt für Kinder- und Jugendpsychiatrie, bekannt durch viele Veröffentlichungen zum Thema „Bindung“ gab in seinem Vortrag Antworten auf die Frage, wie in der Beratung von Frauen und Männern, ausgehend von den frühen Interaktions- und Bindungserfahrungen mit den Eltern die Erfahrung sicherer Bindungen ermöglicht werden können, die dazu beitragen, die Beziehung in der Paarbeziehung, aber auch zu den Kindern befriedigender gestalten zu können.
Marc Brost, Leiter des Hauptstadtbüros der „Zeit“, stellte in seinem Vortrag „Geht alles gar nicht – wenn Familie und Beruf sich nicht vereinbaren lassen und in die Beziehung das große Schweigen einzieht“ sehr eindrucksvoll dar, dass Familie und Beruf sich nicht vereinbaren lassen. Berufstätige Paare sind permanent überfordert. Man reibt sich auf im Bemühen, den Anforderungen von Beruf und Familie gerecht zu werden. Darüber verstummen Paare, sie ignorieren ihre Probleme, bis es nicht mehr geht.
Die Überforderung in Sprache zu bringen, „Ermüdungsbrüche“ der Beziehung, die durch die dauernde Überlastung entstehen zu verhindern, indem man nicht in die Falle der drohenden Sprachlosigkeit gerät, ist die Herausforderung, die es zu meistern gilt.
Professorin Dr. Hildegund Keul, außerplanmäßige Professorin für Fundamentaltheologie und vergleichende Religionswissenschaft an der Universität Würzburg sprach zum Thema „Resilienz aus Verwundbarkeit“- wie in verbindlichen Beziehungen Kreativität und Verlässlichkeit wachsen“. Sie zeigte auf, dass Liebe nur gelingen kann, wenn man das Risiko eingeht, sich verletzlich zu zeigen. Diese Verletzlichkeit ist Quelle der Liebe, Quelle, aus der Neues entstehen kann. Urbild dafür kann Jesus sein: er hat das Kreuz nicht gesucht, aber er hat als Person seine Überzeugungen vertreten, was ihn ans Kreuz geführt hat. Er hat seine Verwundbarkeit bis hin zum Tod gezeigt. Gerade der Durchgang durch diese Verwundbarkeit bis zur letzten Konsequenz hat zur Auferstehung geführt. Dieser feste Glaube an die wirksame Kraft der Verwundbarkeit kann Menschen in Krisen helfen – auch wenn es nicht für alle Krisen eine Lösung gibt.
Eva Barnewitz, Traumatherapeutin im Kompetenzzentrum Psychotraumatologie in Konstanz stellte an konkreten Beispielen die narrative Expositionstherapie als evidenzbasiertes Kurzzeitverfahren zur Behandlung von Überlebenden von schweren Traumatisierungen, wie sexueller Gewalt, Misshandlungen und Folter dar. Die narrative Expositionstherapie ermöglicht es, die traumatischen Lebenserfahrungen in den Gesamtzusammenhang der Lebensgeschichte der traumatisierten Frauen und Männer einzuordnen. Sie aktiviert die Handlungsmöglichkeiten der Personen und erlaubt korrigierende Beziehungserfahrungen in wertschätzendem und einfühlsamem Kontakt.
In Arbeitsgruppen hatten die TeilnehmerInnen die Möglichkeit, sich mit verschiedenen Teilaspekten des Tagungsthemas praxisnah auseinanderzusetzen und die Anregungen der Vorträge in ihr beraterisches Handeln zu integrieren. Etwa 100.000 Frauen und Männer wenden sich jedes Jahr an die Ehe-, Familien- und Lebensberatungsstellen in katholischer Trägerschaft. Vor allem Probleme in der Partnerschaft lassen Frauen und Männer – allein oder als Paar zu der Entscheidung kommen, diese fachlich qualifizierte Unterstützung in Anspruch zu nehmen.
Die Mitgliederversammlung des Bundesverbandes, die im Rahmen dieser Fortbildung stattfand, dankte ihrem scheidenden Vorsitzenden Martin Kopf für sein Engagement. Martin Kopf hatte nicht mehr kandidiert. Gaby Hübner wurde als neue Vorsitzende gewählt. Die Fortbildung des Bundesverbandes wird vom Bundesministerium für Familien, Senioren, Frauen und Jugend finanziell gefördert.
Dem Bundesverband katholischer Ehe-, Familien- und Lebensberaterinnen und -berater e.V. gehören etwa 700 Beraterinnen und Berater an. Sie arbeiten in Ehe-, Familien- und Lebensberatungsstellen und anderen familienorientierten Beratungsstellen in katholischer Trägerschaft. Mit dem erfolgreichen Abschluss einer speziellen Weiterbildung als Ehe-, Familien- und LebensberaterIn nach den Rahmenrichtlinien des Deutschen Arbeitskreises für Jugend-, Ehe- und Familienberatung (DAKJEF) oder eine gleichwertige postgraduierte Weiterbildung sind sie für diese Tätigkeit qualifiziert.