Herr Scholl, Sie haben jahrelanlange Erfahrung als Berater an der Ehe-, Familien- und Lebensberatungsstelle der Diözese Würzburg in Schweinfurt. Woran denken Sie, wenn Sie den Satz hören: "Die guten Seiten entdecken ..."?
Natürlich wünschen sich alle, die guten Seiten aneinander zu entdecken. Häufig erlebe ich aber Meisterschaften darin, das berühmte 'Haar in der Suppe' zu finden und dem Partner/ der Partnerin vorzuwerfen, was nicht 'perfekt' ist und darauf herumzureiten. So werden die guten Seiten hinter den dunklen Gewitterwoken der Kritik, des Verächtlichmachens, des Schweigens versteckt. Wenn ich solche Kreisläufe in den Beratungsgesprächen mitbekomme, ist es für mich immer eine Herausforderung, einen Weg zu finden, die 'guten Seiten' mehr in den Blick zu nehmen.
Wie machen Sie das?
Als Außenstehender habe ich es relativ leicht, für meine Rückmeldungen an das Paar Gehör zu finden: die Paare kommen ja in die Beratung, weil sie mit dem Miteinander nicht (mehr) zufrieden sind. Für viele Paare ist es eine Entlastung, wenn ich Ihnen sage, dass ich den Eindruck habe, dass sie sich in ihrer Kommunikation vor allem auf den negativen, enttäuschenden Aspekt ihrer Beziehung 'einschießen' und sich darin gegenseitig verstärken. Schon die Frage, ob es eine Zeit gab, in der es mal anders war, lässt die meisten Paare nachdenklich werden, manchmal treten - auch Männern - Tränen in die Augen, wenn sie an diese glücklicheren Zeiten erinnert werden. Die Sehnsucht wird spürbar nach Anerkennung, nach 'Angesehensein' im wahrsten Sinne des Wortes.
Das ist doch scheinbar ganz einfach - man muss nur an die 'guten alten Zeiten' der Beziehung erinnern, schon sind alle Probleme geklärt?
So einfach ist es natürlich nicht. Das eine ist die Sehnsucht, dass mein Partner/ meine Partnerin mir zeigt, dass er/ sie mich mag, das Andere ist die Erfahrung, dass sich Kommunikationsformen eingeschliffen haben. Da etwas zu verändern, ist gar nicht so einfach. Sie können ja mal ein kleines Experiment machen: Steigen Sie mal zuerst mit dem Fuß aufs Fahrrad, mit dem Sie sonst nicht aufsteigen, da merken Sie, wie sehr sich das eingeschliffen hat und dass es eine besondere Anstrengung braucht, dies zu verändern. Noch viel schwieriger ist es, die Kommunikation zu verändern - und noch schwieriger, ein inneres Bild zu verändern, das man sich von einem Menschen gemacht hat und das durch die tägliche Erfahrung immer neue Bestätigung erfährt.
Was kann da helfen, die guten Seiten im Anderen zu entdecken?
Ich komme wieder auf mein Beispiel mit dem Fahrrad zurück: Man muss sich anders einstellen. Wenn ich über meine Partnerin denke: 'die wird sich sowieso nicht ändern' - wird das auch mit hoher Wahrscheinlichkeit so bleiben. Wenn ich mich aber so einstelle, dass ich mir überlege: 'Was schätze ich an ihr, welche guten Seiten hat sie' - und mich innerlich diesen Seiten zuwende, ist dies häufig ein Schritt zu einer Veränderung in Richtung Nähe und besseres Verstehen. Spaßeshalber können Sie ja mal ausprobieren, ob Ihre Partnerin oder Ihr Partner das merkt, wenn Sie sich der positiven Seite zuwenden. Noch erfahrbarer wird die Veränderung natürlich, wenn Sie ihr/ ihm sagen, was Sie gut finden. Sie werden merken, dass das gar nicht so leicht ist. Es lohnt sich aber meist, wenn Sie den Mut zeigen, die guten Seiten Ihrer Partnerin/ Ihres Partners zu entdecken - und ihm/ ihr davon zu berichten - ohne Wenn und Aber.
Das Interview führte Johanna Niklaus für 'Zuhause', Ausgabe 8 /Juli 2011, Aktuelles aus der katholischen Ehe- und Familienseelsorge in den Dekanaten Schweinfurt Nord, Schweinfurt Süd und Schweinfurt Stadt